Wie so vieles liegt auch Intelligenz irgendwie im Auge des Betrachters. Ich meine, selbst die Wissenschaft kann sich bis heute auf keine stimmige Definition einigen, weil Intelligenz einfach von zu vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Was die Frage aufwirft: Wie viel Dummheit geht eigentlich noch als intelligent durch?
Letzte Woche, ca. 20 Uhr in einem gehobenen Restaurant mitten in der bayerischen Idylle: Eigentlich wollten ich und zwei Bekannte nur die laue Sommernacht mit gutem Essen genießen, doch leider hatte unsere Bedienung andere Vorstellungen. Sie servierte konsequent entweder das Falsche, brachte Vor- und Hauptspeise zusammen und dann auch noch Suppe mit Fliegenbeilage. Mein Gedanke dazu: Oje, wohl nicht ihr Tag heute.
Der eine Bekannte sah das anders und kommentierte das Ganze so: „Tja, das kommt halt davon, wenn man 450 Euro-Kräfte einstellt.“ Um dann noch eins drauf zu setzen „In manche Gehirne geht halt weniger rein als in andere.“ Sein Fazit also: Die Dame war blöd. Fest machte er das an ihren Fehlern bei der Bestellung und der Tatsache, dass sie als Kellnerin in einem Restaurant arbeitete. Mich hat das ziemlich schockiert – was bitte sagt denn die Berufswahl über die Intelligenz aus?
Ich weiß schon, es gibt das Klischee der doofen Frisöse, des dummen Bauarbeiters, der blöden Kassiererin und noch einige mehr – sicher bestätigen sich diese auch gelegentlich. Aber ist Pauschalisieren nicht genauso dumm? Ja, wir leben in einer Gesellschaft die dieses Klischee-Denken begünstigt – vor allem die Medien – aber muss ich deshalb jeden Mist glauben? Geld und Erfolg fördern nicht unbedingt die Intelligenz. Wer das nicht glaubt, der muss nur mal einen Blick in Richtung Politik werfen – egal in welchem Land, die leiden alle an geistigem Totalausfall.
Oder wer es gerne kleiner mag: Ein millionenschwerer Fußballclub-Manager, der Steuern hinterzieht. Ein orangefarbener Musikproduzent dessen Hauptberuf darin besteht, naive und talentfreie Teenager im Fernsehen runterzuputzen. Eine Feministin, die vieles für die Frauen in Deutschland erreicht hat, sich dann aber zu einem Reiseblog in der BILD, Steuerhinterziehung, TV-Duellen mit geistig überlegenen Moderatorinnen und ähnlichen Blödsinn hinreißen ließ.
Warum ich gerade diese Beispiele anführe? Weil geistige Fähigkeiten, also sich Wissen anzueignen, zu merken und zu verarbeiten, Gelerntes umzusetzen und stets dazu zu lernen, nur einen Teil der Intelligenz ausmachen. Was ich für mindestens ebenso wichtig halte, ist die soziale Intelligenz: Mitgefühl, soziale Kompetenz, Hilfsbereitschaft, Anstand und so weiter. Genau da hakte es etwa bei meinen drei Beispielen sowie besagtem Bekannten aus.
Ich kenne etwa eine Kassiererin, die BILD liest, regelmäßig „Berlin Tag & Nacht“ guckt und wahrscheinlich auch die CDU wählt (denke ich mal, hab sie nie danach gefragt). Das Klischee der nicht sehr intelligenten Kassiererin wäre also so gut wie erfüllt. Dann legte sich besagte Kassiererin aber eines Tages mit einer Gruppe Nazis an, die ein türkisches Mädchen am Bahnsteig belästigten. Geistige Intelligenz – wahrscheinlich eher niedrig, soziale Intelligenz – eher hoch.
Bei dem Bekannten meiner Mutter ist das eher umgekehrt. Zwar mag seine geistige Intelligenz im höheren Bereich liegen (andernfalls hätte er es kaum durchs Medizinstudium geschafft), seine soziale Intelligenz aber eher im unteren Durchschnitt. Seine Meinung über die Kellnerin änderte sich übrigens schlagartig als sich herausstellte, dass die Dame eigentlich als Lehrerin arbeitet und den Kellner-Job nur einmal die Woche macht.
Ich persönlich mag Pauschalisieren und Klischee-Denken nicht und tue mir echt schwer jemanden für voll zu nehmen, der ernsthaft die CDU/CSU wählt, BILD liest, Homosexuelle, Frauen und andere Randgruppen diskriminiert oder eine Religion ausübt. Mit „ernsthaft“ meine ich die Überzeugungstäter – die Fundamentalisten, Pseudo-Toleranten („Ich habe ja nichts gegen XY, aber…“), Fanatiker, Chauvinisten usw. – nicht die Gelegenheits-BILD-Leser, Langeweile-Zapper, Auf-dem-Papier-Katholiken oder Agnostiker. Auch wenn mich davon jetzt einige für total dumm halten. Kann ich mit leben.
Natürlich ist es am Ende dann auch nicht ganz so simpel mit der Intelligenz. Wie gesagt: Selbst die Wissenschaft kloppt sich seit Jahren um eine allgemeine Definition. Deshalb ja auch die Feststellung: Irgendwie liegt Intelligenz dann doch im Auge des Betrachters. Ich finde nur, man sollte aufhören, etwas oder jemanden pauschal als dumm zu bezeichnen, ohne die Hintergründe zu kennen. Wie man ja am Beispiel der vermeintlich blöden Kellnerin sieht, die sich dann als eine Lehrerin mit Zweitjob und einem schlechten Tag entpuppte. Ich weiß, Klischees machen den Alltag einfacher, aber wir haben unser Hirn zum Denken und nicht nur als Regenschutz.
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