Tja Schweden, hier bin ich also wieder. Du hast dich verändert, aber du verschlägst mir immer noch den Atem – sowohl positiv als auch negativ. Eines blieb aber gleich: Das Gefühl, nach Hause zu kommen. Es ist da, in der Sekunde, in der das Flugzeug durch die Wolken bricht und den Blick auf Stockholm freigibt – und es bleibt die ganzen elf Tage bei mir.
Tag 1: Elch voraus
Eine Elchfamilie – Mama mit zwei Jungen, hoppelt über das abgemähte Beet. „Die Elche kommen meist am Abend raus, also fahr vorsichtig“, sagte die Dame, die mir das Ferienhaus vermietet hat. Aber irgendwie dachte ich nicht, dass ich wirklich welche zu Gesicht bekomme. Es sind nicht meine ersten Elche, als ich das letzte Mal in Schweden war, stand einer am Waldrand vor dem Hostel. Irgendwie fühlt es sich an, als würde mir diese Familie zurufen: „Willkommen zurück – warum hast du so lange gebraucht?“ Und ja, ich bilde mir das vermutlich ein, aber ich mag diesen Gedanken, denn ich war wirklich viel zu lange weg.
Tag 2: Wasser-Wissenschaften
Es gibt in einem schwedischen Supermarkt eine Menge toller Dinge, die man in Deutschland nicht bekommt: Joghurt in allen möglichen Geschmacksrichtungen in Milchkarton-Größe etwa oder Chips mit Zitronengeschmack oder boxenweise Kekse. Oder Twinings-Tee. Das Einzige, was echt eine Herausforderung ist: Wasser mit Sprudel ohne Geschmack. Ich stehe seit bestimmt zehn Minuten vor dem Regal mit Getränken und bis jetzt habe ich: Wasser mit jeder nur möglichen Geschmacksrichtung – Zitrone, Himbeere, Waldbeere – diverse Limonaden und Wasser ohne Kohlensäure. Zumindest steht da drunter „Naturell“.
Ich überlege mir gerade, ob ich es mal dezent schütteln soll, als eine Oma an mir vorbeiwackelt und mich böse anschaut. Könnte auch mein schlechtes Gewissen sein, aber ich lasse das schütteln lieber mal. Das Problem bei der ganzen Geschichte ist folgendes: Ich weiß, dass „Mineralvatten“ Mineralwasser heißt und „Kolsyra“ Kohlensäure. Meine Schwedisch-Kenntnisse gehen sogar soweit, dass ich wüsste, dass „Mineralvatten med Kolsyra“ Mineralwasser mit Kohlensäure heißt. Nur steht das nicht auf der Wasserflasche. Da steht: „Kolsyrat naturligt Mineralvatten“ – ich habe also quasi eine 50:50 Chance, dass das jetzt mit Kohlensäure bedeutet. Oder eben nicht. Da mir keine Wahl bleibt, entschließe ich mich letztlich, es einfach zu probieren (Ja, es war die mit Kohlensäure).
Tag 3: Gänse-Hafen
Wer schon mal Nils Holgersson gelesen oder zumindest davon gehört hat, der weiß: In Schweden gibt es Wildgänse. Und heute scheint es, als sitze jede einzelne dieser Wildgänse im Hafen von Nyköping (spricht man: Nischöping) und schreit. Laut. So laut, dass man den Hafen quasi schon von weitem „hört“. Der komplette Hafen ist voll mit Wildgänsen – sie hocken auf den Bootsstegen, schwimmen im Wasser zwischen den Booten oder fliegen umher. Ein Fischer, der in der Nähe des Stegs eine Angel ins Wasser hält, wirft den schreienden Gänsen – wirklich, quaken kann man dieses Geräusch nicht nennen – böse Blicke zu. Ich glaube, seine Pläne sind gerade von irgendwas mit Fisch zu Gänsebraten umgeschwenkt.
Tag 4: Hallo Deutschland
Meine Vermieterin hat nicht zu viel versprochen, Mariefred ist, in einem Wort: Atemberaubend. Die absolute Inkarnation eines idyllischen Postkartenfischerstädtchens. Außerdem hatte meine Vermieterin auch mit etwas anderem Recht, Mariefried ist tatsächlich ein Magnet für deutsche Touristen. Sogar noch Ende September. Während ich so durch die Stadt und um das Schloss Gripsholms Slott schlendere, kann ich mich des Verdachts nicht erwehren dass hier tatsächlich mehr Deutsche rumlaufen als Schweden. Der Grund hierfür ist offenbar, dass Mariefred als Drehort für die deutsche TV-Serie „Inga Lindström“ dient. Wer wie ich die Serie nicht kennt, darf sich einfach an der atemberaubenden Landschaft erfreuen.
Tag 5: Solnedgång
Heute stand eine lange Erkundungstour meiner näheren Umgebung an – inklusive eines typischen Touri-Fotos von einem Elch-Schild. Immerhin habe ich es stehen lassen, angeblich ist es ja schon fast deutscher Touristenvolkssport, diese Schilder zu klauen. Ansonsten habe ich diesen Tag damit verbracht, einmal so gut wie nichts zu tun, sondern mich nur in die Sonne am Seeufer nahe meines Ferienhauses gesetzt und ihr dabei zugesehen, wie sie langsam untergeht. Weil nicht denken manchmal auch ganz schön ist.
Tag 6: Die spinnen, die Schweden!
Ich schwöre, ich habe noch nie – zumindest äußerst selten – so viel Angst gehabt, wie heute auf dieser superschmalen Straße nach Gnesta, auf der gerade mal ein Auto Platz hat. Ernsthaft – die Straße ist zu schmal für zwei Autos und es geht gefühlt alle drei Meter entweder über einen Hügel oder um die Kurve. Und was machen die Schweden: Geschwindigkeitsbegrenzung 70km/h. Ich bin 55 gefahren und habe jedes – wirklich jedes – Auto das mir entgegenkam angebrüllt, während ich gleichzeitig gebetet habe, nicht im Graben zu landen. Alter, mir kam sogar einer in einem Wohnmobil entgegen!
Tag 7: Kreditkartenwahnsinn
In Schweden kann man alles mit Kreditkarte bezahlen: Den Automaten im Parkhaus – der ansonsten nur Münzen nimmt und ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Schwede jemals mehr als 20 Kronen in Münzform mit sich rumschleppt – den Zapfhahn an der Tankstelle oder die Kasse im Supermarkt. An einigen Kassen kann man sogar NUR mit Karte bzw. Mobiltelefon (wie auch immer das gehen soll) bezahlen. Die Krönung kam aber heute: Sogar die öffentliche Toilette im Kaufhaus lässt sich mit Kreditkarte bezahlen – für alle diejenigen (wie mich) die dummerweise keine zehn Kronen einstecken hatten. Die spinnen, die Schweden. 🙂
Tag 8: Hallo Fremder
Ach Stockholm, wie hast du dich verändert – und wie wenig hast du dich verändert. Du bist immer noch atemberaubend (trotz all der Baustellen), immer noch freundlich (trotz all der Smartphone-Zombies) und wie all die anderen Male zuvor, tut es weh, dich zu verlassen. Das letzte Mal als ich alleine in Stockholm war, traf ich jemanden, der den ganzen Tag mit mir durch die Stadt lief und sie mit mir erkundete. Heute war das zweite Mal, dass ich alleine durch Stockholm wanderte und wieder traf ich jemanden, der den kompletten Tag mit mir herumwanderte, nur um dann am Ende ebenso schnell wieder zu verschwinden. Ich weiß nicht, ob oder was ich davon halten soll – aber Stockholm, ich vermiss dich jetzt schon und ich bin noch nicht mal wirklich wieder weg.
Tag 9: Pusten sag ich!
Polizeikontrolle an einem Samstagmorgen. Am Ortseingang von Gnesta stehen zwei grimmig dreinschauende Herren, die wirklich JEDEN rauswinken, der die Straße entlangfährt. Natürlich muss der Typ, der bei mir am Auto steht, auch noch aussehen wie ein verdammtes Model. Es reicht ja nicht, dass ich eh schon meganervös bin und keine Ahnung habe, was er gerade auf Schwedisch zu mir gesagt hat – nein, ich starre ihn auch noch extra ein paar Sekunden länger an, weil er so verdammt gut aussieht.
Erst als er seine perfekte Stirn runzelt, wird mir klar, dass er immer noch auf Antwort wartet und außerdem nicht aussieht, als hätte er besonders gute Laune. Klar, es gibt sicher spaßigeres als Samstagvormittags Verkehrskontrollen durchzuführen. „Talar du Engelska?“ (sprechen Sie Schwedisch) stottere ich schließlich. Zumindest entrunzelt sich jetzt seine Stirn. „Yes“, sagt er und dann, dass er meinen Führerschein haben will. Außerdem hält er ein Gerät in der Hand, das verdächtig nach einem Alkoholpegel-Messgerät aussieht. Ist es auch, zwei Sekunden, nachdem er meinen Führerschein betrachtet hat, hält er mir das Ding hin und meint, ich soll reinpusten.
Mache ich – naja, ich versuche es. Fester pusten sagt er und seine Stirn runzelt sich wieder. Nochmal. Tief Luft holen und pusten – „until I say stop“. Kein Problem. Ich puste. „Harder“ meint er. Und nochmal: „Harder“. Irgendwie klingt das falsch, aber ich puste tapfer weiter. Als ich mich fühle, als würde ich gleich umkippen, meint er „okay“ und zieht das Teil weg. Blickt mit weiterhin gerunzelter Stirn drauf. Dann: „Looks good.“ Er gibt mir meinen Führerschein zurück und ich darf weiterfahren. Ich erlaube mir, noch eine Sekunde lang auf seinen perfekten Hintern zu gucken – hey, ich bin auch nur ein Mensch – der sich entfernt. Dann fahre ich weiter. Ach Schweden, du brichst mir doch auch jedes Mal wieder das Herz.
Tag 10: Time to say goodbye…
Heute ist er da, der letzte Tag – morgen früh geht es zurück nach Deutschland. Ich fahre mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Weinend, weil ich Schweden mal wieder verlassen muss – lachend, weil es auch ein Abschluss war. Eine Geschichte endete während diesen zehn Tagen und dieses Ende beinhaltete auch ein paar Tränen und etwas Herzschmerz. Aber wenn ich morgen in den Flieger steige, dann lasse ich dieses Ende hinter mir und starte eine neue Geschichte. Ich weiß zwar noch nicht, wie genau sie aussieht, aber sie wird gut, richtig gut.