„Wenn du dich selbst nicht liebst, dann wird es auch kein Anderer tun“. Dieser Satz gehört zu den Lieblingsweisheiten meiner Mutter. Er ist außerdem absoluter und kompletter Blödsinn – etwas, dass mir erst vor Kurzem wirklich bewusst geworden ist.
Ich glaube es gibt kein Gefühl, das so unlogisch und unerklärlich ist, wie die Liebe. Liebe macht keinen Sinn. Du kannst dir nicht aussuchen, wen du liebst – mit einer einzigen Ausnahme: Dich selbst. Für einige Menschen ist das selbstverständlich. Andere kämpfen jahrelang damit, vielleicht sogar ihr ganzes Leben. Unsere Gesellschaft ermutigt uns nicht unbedingt zur Selbstliebe, zumindest nicht zu der Art, die uns freundlich und mitfühlend macht.
EITELKEIT UND SELBSTLIEBE SIND NICHT DAS GLEICHE
Was wir schon von klein auf lernen, ist miteinander zu konkurrieren. Wir sollen besser, schneller, schlauer sein als die Anderen und unseren Erfolg messen wir in Geld und Bekanntheit. Was zählt ist Leistung – dieser Grundsatz zieht sich durch unser ganzes Leben. Dein Wert als menschliches Wesen hängt an Faktoren wie: Dein Einkommen, dein Beziehungsstatus, wie viele Kinder du hast, deinem Aussehen, deiner Fitness, deinen weltlichen Besitztümern…diese Liste ließe sich noch eine Weile fortsetzen.
Je länger wir uns diesem Leistungs-Grundsatz unterwerfen, desto rücksichtsloser, grausamer und gestresster werden wir – und meistens behandeln wir uns selbst keinen Deut besser als unsere Umwelt. Es ist schwer, sich selbst zu lieben, wenn man immer das Gefühl hat, nicht genug zu sein. Wenn man denkt, dass man es gar nicht verdient hat, das einen irgendwer mag. Vor allem nicht, bevor wir nicht mindestens 15 Kilo abgenommen, Make-Up im Gesicht und die neuesten Markenklamotten gekauft haben. Letzteres ist Eitelkeit und die hat nichts mit Selbstliebe zu tun.
NUR DU ENTSCHEIDEST, WIE DU DEIN LEBEN LEBST
Die gute Nachricht ist, du kannst diese Mühle aus Leistungsdruck und Konkurrenzkampf jederzeit wieder verlassen. Für mich begann dieser Schritt mit folgender Erkenntnis: Der einzige Mensch, der berechtigt ist, darüber zu entscheiden, wie ich lebe, bin ich selbst. Nicht meine Familie, nicht meine Chefin, nicht meine Kollegen, nicht meine Freunde und ganz sicher auch kein Arzt, der der Meinung ist, Angstattacken ließen sich nur mit Beruhigungsmitteln effektiv behandeln. Wenn man mal wirklich verstanden hat, wie viel Macht diese Erkenntnis hat, dann lässt sich auch vieles mit etwas mehr Abstand betrachten – und man erkennt, was einem wirklich wichtig ist und was man eigentlich nur macht, um irgendwen zu beeindrucken, Streit zu vermeiden oder um nicht alleine sein zu müssen.
Je mehr man sein Leben nach anderen ausrichtet, desto unzufriedener wird man. Ich stellte fest, dass ich keine Ahnung hatte, wann ich mich zum letzten Mal wirklich selbst gemocht habe. Bevor mir jemand sagte ich wäre zu laut, zu unbeholfen, zu nervös, zu leise, zu dick, zu blöd, zu aggressiv…zu, was auch immer und ich zugehört habe. Das Resultat davon war, dass ich immer der Meinung war, ich wäre irgendwie falsch und das mich deswegen niemals jemand lieben würde. Jedes Mal wenn eine Beziehung oder Freundschaft scheiterte, machte ich mich dafür verantwortlich. Weil ich zu blöd, zu dick oder zu schwierig war. Dieses Denken habe ich im Laufe der Jahre immer mehr verinnerlicht – bis es mich krank gemacht hat.
DIE PERSON, DER DU NIEMALS ENTKOMMEN KANNST, BIST DU SELBST
Sich selbst zu hassen ist das Schmerzhafteste was es gibt. Denn du kannst jedem Menschen durch Abstand entgehen – nur nicht dir selbst. Mein Selbsthass führte dazu, dass ich jegliche Kritik – egal ob von Freunden und Familie oder irgendeinem Idioten auf Twitter – sofort verinnerlichte. Und diese ständige negative Verstärkung meiner eigenen Ohnmacht, führte schließlich zu einer Depression. Eine Depression die 2018 so schlimm wurde, dass ich in ein Krankenhaus ging, um mich behandeln zu lassen. Dort lernte ich während einer Gruppentherapie die vermutlich wichtigste Sache meines Lebens – die zu der vorher beschriebenen Erkenntnis führte: Du bist nicht für die Gefühle anderer Menschen verantwortlich.
JEDER MENSCH IST FÜR SEINE EIGENEN GEFÜHLE VERANTWORTLICH
Vielleicht hast du den Instinkt, dieser Aussage sofort zu widersprechen. Ich – und sämtliche der anderen Patienten in der Gruppentherapie – taten das zunächst auch. Weil ich Selbstliebe mit Egoismus verwechselte. Aber es geht nicht darum, die Gefühle der anderen Menschen zu verletzten oder als unwichtig zu erachten, sondern um Selbstbestimmung. Es ist unmöglich es allen recht zu machen – egal wie gut deine Absichten sind, wie viel Mühe du dir gibst oder wie vorsichtig du bist, irgendwer wird dich, deine Aussagen und deine Taten immer scheiße finden. Der Punkt ist halt, dass das nicht dein Problem ist.
Selbstbestimmung bedeutet aber nicht nur, eigene Entscheidungen zu treffen – unabhängig davon, was andere davon halten – sondern auch, die Konsequenzen zu tragen. Wenn deine Eltern von deiner Berufswahl enttäuscht sind, hast du zwei Möglichkeiten: 1) Du machst das, was deine Eltern sich vorgestellt haben. 2) Du gehst deinen eigenen Weg. Du musst eben abwägen, womit du weniger leben kannst: Einem Beruf der dir nicht gefällt oder der Enttäuschung deiner Eltern. Eine Enttäuschung im Übrigen, für die du nicht verantwortlich bist, da du sie ja nicht fühlst, sondern deine Eltern – aus Gründen, die vielleicht gar nichts mit dir, sondern der Enttäuschung über ihre eigenen Fehler zu tun haben. Meiner persönlichen Erfahrung nach, macht einen auf Dauer immer die Entscheidung für die eigenen Bedürfnisse glücklicher als der Versuch, sich den Bedürfnissen anderer anzupassen. Aber das muss jeder für sich entscheiden.
ES GEHT NICHT DARUM GELIEBT ZU WERDEN, SONDERN ZU LIEBEN
Es hat zwar etwas gedauert, aber dieser komplette Text bringt mich nun dazu zu zurück, warum der Lieblingssatz meiner Mutter völliger Blödsinn ist. Selbst wenn du dich hasst, kann dich jemand anderer lieben. Ich wette sogar, dass jede/r der das liest, mindestens eine Person in seinem/ihren Leben hat, der sie/ihn liebt. Vielleicht bist du dir dessen nur nicht bewusst. Oder du bist zu beschäftigt mit anderen Dingen, um es zu schätzen. Und genau das ist das, was meine Mutter komplett falsch verstanden hat: Es geht nicht darum geliebt zu werden, sondern deine Fähigkeit, andere zu lieben. Das kannst du tatsächlich nur wirklich, wenn du dich selbst liebst. Nur wer selbst nachsichtig, rücksichtsvoll und liebevoll mit sich selbst umgeht, kann dies auch mit anderen tun. Wer sich selbst ständig kritisiert, wird im Gegenzug auch ständig Fehler an anderen finden – und so vielleicht Freunde oder Partner auf lange Sicht vertreiben.
WIE LERNT MAN, SICH SELBST ZU LIEBEN?
Die Antwort darauf ist eigentlich relativ simpel: Durch Selbstbestimmung und Güte. Geh liebevoll mit dir selbst um, verzeih dir deine Fehler und feiere jeden Sieg, egal wie klein er auch sein mag. Wenn du heute alles was du dir vorgenommen hast, auch geschafft hast, dann gratuliere dir dazu und sei stolz auf dich. Und wenn heute ein Tag war, an dem dein größter Sieg darin bestand, vom Bett zur Couch zu gehen und dich dort mit TV-Serien von deinem Leben abzulenken, dann feiere das ebenso. Hör auf, dich auf all das zu konzentrieren was du nicht geschafft hast, nicht kannst oder nicht besitzt und fokussiere dich auf all das was du vollbracht hast, kannst und was dein Leben bereichert.
Das braucht Zeit und Geduld. Ich habe zwei Jahre und die mehrmalige Wiederholung des gleichen Fehlers gebraucht, bis ich es verstanden habe. Aber wenn du anfängst, die kleinen Erfolge zu feiern, werden diese irgendwann größer. Nur du entscheidest, wie du dein Leben leben willst – und das wird einfacher, wenn du dich selbst liebst.