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Die Rockstar-Revolution

Live, Konzert, White Lies, Publikum, MünchenMit 14 Jahren habe ich beschlossen, dass ich Rockstar werden würde! Warum auch nicht? Ich konnte singen und schrieb damals schon dauernd irgendwelche Texte über irgendetwas. Mein Plan, die Welt als die nächste Alanis Morisette zu erobern, hatte allerdings einen „winzigen“ Schönheitsfehler.

Zunächst fing alles recht vielversprechend an – ich fand eine Schulband, die dringend eine Sängerin suchte. Nach neun Monaten –mehr oder weniger organisiertem – Proben, winkte dann der erste große Auftritt: Die Geburtstagsfeier von der Schwester des Gitarristen mit einem erwarteten Publikum von etwa zehn Leuten.

Rockstar? PANIK!

Am Tag des Auftritts erfuhr ich zum ersten Mal, wie es sich anfühlt, wenn man plötzlich von einer Sekunde zur nächsten das Gefühl hat, nicht mehr atmen zu können. Als hätte einem jemand eine Plastiktüte über den Kopf gezogen. Keine Luft mehr, eine brennende Lunge und nur ein einziger Gedanke: NEIN. Im medizinischen Fachjargon nennt man dieses Phänomen eine Panikattacke und ich bekam sie, als ich vor ganzen acht gelangweilten Teenagern auf eine provisorische Bühne steigen sollte.

Tequilla Baby!

Beim zweiten Auftritt ein paar Monate später, schaffte ich es dann zwar auf die Bühne, allerdings erst nach einer halben Flasche Tequilla und ungefähr zwei Bier. Ungefähr deshalb, weil ich ab diesem Pensum einen Filmriss hatte und nichts mehr vom Rest des Abends weiß. Offenbar funktionierte der Auftritt aber ganz gut – bei Punkrock muss eh niemand etwas vom Gesang verstehen – und ich schaffte es sogar noch, dem Gitarristen meine unsterbliche Liebe zu gestehen, bevor ich meinen Magen auf seinen Schuhen entleerte.

Ich habe es danach noch zwei Mal probiert mit den Bühnenauftritten, beide Male genauso sturzbetrunken. Danach habe ich selbst im zarten Alter von 15 Jahren eingesehen, dass ich wahrscheinlich eher Alkoholikerin als Rockstar werden würde, wenn ich diesen Berufswunsch beibehielt und hängte die Gesangskarriere an den Nagel. Manchmal, da muss man eben auch einsehen, dass Talent nicht ausreicht.

Optimierungs – Wahnsinn

Diese Einsicht ist etwas, dass unsere Gesellschaft heutzutage nicht mehr akzeptiert. Jeder dem ich von meiner gescheiterten Rockstar-Karriere erzähle, meint: „Aber da kann man doch was machen!“. Selbsthilfe-Ratgeber lesen, Kurse besuchen und so weiter. Im Leben gehe es schließlich um Optimierung! Nur, ich mag nicht. Ich singe immer noch gerne – beim Kochen oder unter der Dusche und betrunken sogar vor Publikum – und ich steige sogar auf Bühnen oder rede vor mehreren Leuten. Können tu ich es – ich will nur nicht, wenn ich nicht muss.

Etwas nicht zu wollen, hat in unserem Zeitgeist schon fast revolutionären Charakter, denn: Geht nicht, gibt’s nicht! Überall heißt es, wir müssten an uns arbeiten – besser, schneller, dünner werden –und immer mehr wollen, um mehr zu sein. Nur Veränderung bringe Zufriedenheit. Warum steigt dann die Zahl der Unzufriedenen immer mehr an? Warum behandeln immer mehr Kliniken Menschen mit Depressionen und Burn-Out?

Rettet meine Seele

Ich will mich nicht zu einer Person verändern, die ich nicht bin. Auch wenn das bedeutet, dass mich der Rest der Welt nicht versteht. Ähnlich wie bei dem Rockstar-Berufswunsch habe ich irgendwann erkannt, dass ich eher mit einer schweren Depression in einer Psychiatrie lande, als zur erfolgreichen Top-Managerin ohne Seele zu werden. Das ist dann eben so.

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